Dienstag, 15. Dezember 2009

Kapitel 2 - "Tag der Premiere"


29.11, 06 Uhr morgens. Ich fliege nach Goa in den Sonnenaufgang hinein, unter mir einzelne Inselgruppen. Schon vom Flugzeug aus sehe ich: Das ist eines der letzten verbliebenen Paradiese! Ich erkenne die unberührt wirkenden Sandstrände die sich kilometerlang, fast endlos die Küste entlang ziehen.

Am Flughafen werde ich abgeholt von Bediensteten der Entertainment Society, die mich direkt ins International Center bringen. Zwei Tage darauf, bekomme ich meinen eigenen Fahrer: Dereck. Er wird mir die schönsten Plätze in Goa zeigen. Vorallem Agonda hats mir angetan. Schon auf der Fahrt zum International Center werde ich mit zahlreichen Riesenplakaten konfrontiert, die allesamt das Filmfestival bewerben. Das geht am Flughafen los und hört bis zum International Center nicht mehr auf.




Wohin das Auge blickt: Viel Grün.. Und Urwald. In den Wäldern leben Hanuman-Languren (eine von den Hindis speziell verehrte, seltene Affenart). Und: Leoparden.

Die Landschaft wirkt sofort faszinierend auf mich. Die Menschen sind sehr offen und freundlich, man muss allerdings auch dazu sagen, dass Goa mit dem restlichen Indien eher nicht allzuviel zu tun hat. Goa wurde erst 1962 von Indien anekdiert und ist als der kleinste und gleichzeitig reichste Bundesstaat Indiens bekannt. Das soll natürlich nicht heißen, dass es nicht auch in Goa viel Armut gibt. Die Frage: Was ist „reich“ und „arm“ ist in einem Land wie diesem sowieso reine Definitionssache... Ich hatte fast 25000 Rubien bei mir, damit hätte ich mir Dereck mindestens einen ganzen Monat anstellen können. In Deutschland oder Österreich komme ich damit kaum eine Woche über die Runde.







Mein Fahrer Dereck










Im Hotel bekomme ich einen Bungalow mit Balkon. Ausserdem erhalte ich meinen für mich hinterlegten Festivalpass. Nur mit diesem ist ein Zutritt auf das Festivalgelände möglich.



mein Pass

unsere Hotelanlage

Um 12 Uhr Ortszeit – ich bin nun durchgehend seit fast 28 Stunden auf - setze ich mich in den Festival-Shuttlebus und lasse mich in das sieben Kilometer entfernte Panaji fahren. Dort findet an mehreren Schauplätzen das Festival statt. Im Bus lerne ich Pramod kennen. Ein indischer Regisseur aus Neu Delhi, dessen Dokumentation „3 Chairs“ auch an diesem Tag Premiere hat. Mit Pramod werde ich die nächsten Tage noch viel Zeit verbringen und einiges wissenswertes über Indien und diverse Gepflogenheiten erfahren.















Pramod & Ich


Das Festivalgelände ist mit zahlreichen Securityposten streng gesichert. Offenbar hat man die Anschläge vom Vorjahr in Mumbai noch in all zu guter Erinnerung und will kein unnötiges Risiko eingehen. Abgesehen davon, werden auch zahlreiche Stars aus Bolly- und Hollywood das Festival frequentieren. Ghandi-Darsteller Ben Kingsley ist nur einer davon. Fotoapparate darf man offiziell nicht mit hinein nehmen. Am allerletzten Tag sollte sich dann aber niemand mehr so richtig daran halten. Ausser in die Kinos, da hat man keine Chance was mit rein zu bringen.



Das Marquinez Palace ist nur einer der Austragungsorte, es gibt darüber hinaus noch die Kala Academy, sowie das große Kino neben dem Palace, welches allein schon mindestens 7 Säle fasst, was ich jetzt so in Erinnerung habe. Das Palace selbst fasst 2 Kinosäle, ausserdem 3 eigene Screeningrooms mit jeweils ca. 20 Sitzplätzen, sowie das "Shortfilm Businesscenter" in dem man auf insgesamt 10 PCs die in der Competiton vertretenen Filme ansehen kann. Ich lerne die charmante Blanche Fernandez kennen, die Assistentin der Festivalleiter der Entertainment Society. Sie erkennt mich bereits aus der Entfernung, obwohl wir uns nie begegnet sind. „Hi Kawo, welcome to Goa!“ Ja ich freu mich auch sehr ;-)



Red Carpet - Marquinez Palace


The shortfilm center reception & unser Festivalbus

Insgesamt war ich – trotz meiner extremen Müdigkeit - bis jetzt nur positiv überrascht. Lauter gut gelaunte, fröhliche, kreative Menschen und das bei bestem Wetter. Wunderbar. Aber wie gesagt: Das war Goas Seite, die nicht unbedingt ident ist mit den harten Seiten einer Großstadt wie Mumbai zu der ich noch komme..

Ich sehe mir den Saal an, in dem unsere Premiere stattfinden wird. Der Saal selbst ist wirklich supergenial, gar nicht mal klein die Leinwand und spitzenmäßiger Sound. Einziger Haken: Es gibt nur 100 Sitzplätze. Das ist nicht grade bombastisch, allerdings finden auf einem Festival dieser Größe dermaßen viel Programme parallel statt, dass man schon froh sein kann, wenn man mit einem deutschsprachigen Kurzfilm einen Saal mit 100 Sitzplätzen füllen kann. Was letztendlich nicht ganz, aber fast der Fall war.

Jetzt brauchte ich nur noch zu hoffen, dass die neuen Bänder in Ordnung waren, keine Drops oder Aussetzer hatten. Sie waren in Ordnung! 22 Minuten knallharte Businessfrau mit recht eigensinnigen Methoden der Mitarbeitermotivation haben alle Anwesenden sehr beeindruckt. Echo ausschließlich positiv. Aber ehrlich gesagt habe ich das nach den bereits erfolgten positiven Testscreenings auch so erwartet. Im übrigen behandelt mein Film auch ein Thema mit globaler Relevanz. Und „unakzeptable Arbeitsbedingungen“ sowie die "Verantwortung von Managern und Bankern in Zeiten der Wirtschaftskrise" sind auch an Indien nicht spurlos vorübergegangen.

An diesem Tag sehe ich mir noch einige andere Kurzfilme der international Competiton an, einfach um abschätzen zu können, wie groß denn die Gewinnchancen auf eine der drei Trophäen eigentlich sind. Insgesamt ist das Niveau – wie nicht anders zu erwarten – ausserordentlich hoch, auch ein Kurzfilm-Oscarpreisträger ist dabei.

Abgesehen von meinem eigenen Film sind meine persönlichen Favorits: „Just a Pitch“ von Eric Raynaud (mit dem ich in späterer Folge noch um die Häuser ziehen sollte), sowie die indische Produktion „When this man dies“. Und: „Kelkkunnundo“ ebenfalls aus Indien. Eine Geschichte über ein blindes Mädchen. Schnell wird klar: Technische oder künstlerische Arbeit gegenüberzustellen macht kaum Sinn, da die Filme schlichtweg alle sehr gut sind. Hier entscheiden also – wie immer auf diesem Level – ausschließlich inhaltliche Aspekte und wie und ob man eben den Nerv der Jury trifft.

Ursprünglich hatte ich ja eigentlich den österreichischen Produzenten und Regisseur Curt Faudon in der Jury erwartet, dem scheint aber offenbar leider etwas dazwischengekommen zu sein. Schade, ich hätt mich gerne mit ihm über Universum & Co unterhalten.. In der Jury fanden sich somit der indische Kameramann Shaji Karun, die deutsche Schauspielerin und Produzentin Marina Anna Eich, der finnische Festivalleiter des Tampere Festivals Juhani Alanen, der ebenfalls aus Deutschland stammende Filmkritiker Michael Orth, sowie Philip Cheah, welcher auch Jurymitglied des Filmfestivals in Locarno ist. Summasummarum also eine bunte, interessante Mischung und bei 20 so vielfältigen Filmen, wird es wohl bestimmt nicht einfach sein, hier eine gerechte Entscheidung zu fällen.

Das Abendprogramm lasse ich ausfallen, um 17 Uhr begebe ich mich ins Bett und schlafe mehr oder weniger durch. Bis zum nächsten Morgen. Nur die etwas zu laute Klimaanlage stört gelegentlich...